krea[K]tiv

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Sänger*in, Agent:in, Dirigent_in… Warum wir krea[K|tiv und inklusiv gendern sollten –
gerade im Musiktheater!

Erstellt am: 8. Februar 2022
Kategorie: Blog

„In unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger. Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar, verschwunden in der Männerschublade.“
Dieses Zitat stammt von Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch aus dem Jahr 1990 – und gilt wohl weitgehend auch heute noch.

Leider.

„Meine lieben Studenten!“, schreibt die Professorin in ihrer Klassengruppe voller weiblicher Studentinnen, in Berlin und anderen Städten spielen die „Philharmoniker“ und die FAZ titelte erst kürzlich, dass vor allem „Musiker“ hart getroffen seien von der Coronakrise.

„Ist ja auch ganz klar – so funktioniert unsere Sprache eben.“, könnte man denken, „Ist doch auch nicht schlimm! Es wissen doch alle Studentinnen, dass sie mitgemeint sind, dass die Coronakrise alle Musiker*innen trifft, sieht man ja am eigenen Kontostand, und natürlich gibt es auch Frauen bei den Philharmonikern! Man muss wirklich nicht aus allem ein Problem machen – oder?“
Völlig richtig, muss man nicht! Aber wenn es ein Problem gibt, sollte man das anschauen und nach Möglichkeit ändern. Ich bin der Meinung, es gibt ein Problem  – und ich glaube, gendergerechte Sprache kann dazu beitragen, es zu sehen und zu lösen! Dieser Meinung bin ich als Opernsängerin, aber auch als Frau und nicht zuletzt als Germanistin und Autorin.
Aber von vorne:
Wir alle gendern, das lässt sich quasi gar nicht verhindern. Nur nutzen die Menschen, die für sich beanspruchen, es nicht zu tun, meist die „normale“ Genderform, das generische Maskulinum.
Seit gar nicht so kurzer Zeit gibt es von Feminist*innen und Sprach- und Sozialwissenschaftler*innen die Forderung, diese Norm zu hinterfragen und gegebenenfalls so zu verändern, dass auch sprachlich alle existenten Geschlechter abgebildet werden.
Während in vielen Bereichen mittlerweile auf diese Forderung eingegangen wird und wurde, gibt es im Bereich des Musiktheaters noch immer viele Stimmen, die dafür keine Notwendigkeit sehen.
Schließlich geht es am Theater um Talent, nicht um Geschlecht. Und Opern werden doch ohnehin für bestimmte Stimmfächer geschrieben. Wo liegt also das Problem?

Das Problem

Das Problem ist vielschichtig, aber ein wesentlicher Punkt ist ganz sicher, dass wir auch im Musiktheater keine Geschlechtergerechtigkeit haben:
Wie kann es zum Beispiel sein, dass die berühmte Gender Pay Gap im Kunstbereich als sogenannte Gender Show Gap ganze 40 % Lohnungleichheit beträgt, wenn es doch nur um Talent geht? Ist es etwa, weil weibliche Kunstschaffende einfach weniger Talent haben oder ist es so wie Loriot im Film Pappa ante Portas seine Figur sagen lässt: „Da sieht man mal wieder, dass Frauen nicht dirigieren können!“?
Wieso sind gerade mal 5% der aufgeführten Orchesterwerke und Opern von Frauen komponiert? Können Frauen einfach schlechter komponieren? Und wieso sind darunter noch weniger asiatische oder Schwarze Komponistinnen? Wie viele Intendantinnen an Opernhäusern fallen uns ein? Heißen die Wiener Philharmoniker vielleicht deshalb so, weil es weniger als 10% Philharmonikerinnen gibt?
Warum trifft Bodyshaming so selten die Tenöre und hatte August Everding Recht, als er in den 1960er Jahren eine Hospitantin mit den Worten „Weibliche Regisseure gibt es nicht!“ entmutigen wollte? Ist es dann vielleicht einfach richtig und gerecht, dass Regisseurinnen noch immer schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen? Sind Männer einfach die besseren Musiktheaterschaffenden?
Ich glaube, das würden die Wenigsten wirklich behaupten wollen.
Was wir also sehen: Es gibt ein Problem und dieses Problem hat auch mit Geschlechtern zu tun.

Und da sollen jetzt ein paar Sternchen helfen?

Zugegeben: Gründe für all diese Ungerechtigkeiten gibt es viele und wir werden sie nicht von heute auf morgen eliminieren können, indem wir einfach an alle Berufsbezeichnungen ein *innen anhängen.
Wie schon gesagt glaube ich aber, dass Sprache ein wichtiges Instrument sein kann, um eine Lösung für viele dieser Probleme zu finden. Nicht das einzige und vielleicht nicht mal das beste, aber ein wirksames ganz sicher!
Das ist nicht nur meine persönliche Überzeugung, sondern mindestens zum Teil auch eine nachgewiesene Wahrheit.
Gendern hilft! Das wurde mittlerweile mehrfach bewiesen.
Sprache ist unglaublich mächtig und bestimmt für uns alle ganz entscheidend, wie wir etwas bewerten, ob wir etwas überhaupt wahrnehmen und wie und woran wir denken.
In einer Studie wurden zum Beispiel deutsche Muttersprachler*innen nach ihren liebsten Musiker*innen, Romanheld*innen und nach berühmten Politiker*innen befragt. Nur waren in den verschiedenen Gruppen einmal Politiker, Musiker und Romanhelden gefragt, einmal Politiker und Politikerinnen, Musiker und Musikerinnen usw. und einmal gar MusikerInnen und so weiter (in einem wieder anderen Experiment wurde nach neutralen Formen wie heldenhaften Romanfiguren gefragt). Die Studie zeigte ganz klar, dass die sprachliche Formulierung im Fragebogen einen enormen Unterschied machte. Nach Musikern im generischen Maskulinum gefragt nannten die Teilnehmenden zum überwältigenden Teil genau das: Musiker.  Wenn also Radiohörende gefragt werden, welche Komponisten sie hören wollen – oder Programmleitungen nach Komponisten für das nächste Neujahrskonzert suchen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir auch nur Komponisten hören werden: Mozart, Beethoven, Bach… jaja. Und da hilft es dann den Hörgewohnheiten (und den Verträgen…) auch nicht, dass Gourzi, Chaminade und Strozzi sicher mitgemeint sind.
Auf Musiker und Musikerinnen angesprochen – genau wie auf geschlechtsneutrale Formulierungen dieser Berufsgruppe – schafften es in der Studie übrigens bedeutend mehr Frauen in die Antworten. Bei der Frage nach MusikerInnen mit Binnen-I wurden sogar mehr Musikerinnen als Musiker genannt.
Es gibt auch Studien, die den Zusammenhang zwischen sprachlicher Repräsentanz und Bezahlung beweisen und solche, die zeigen, dass sich Menschen, die keine Männer sind, in Gruppen bedeutend wohler fühlen, wenn sie sprachlich mitangesprochen werden. Andere Studien beweisen, dass das „Mitgemeintsein“ in der Realität nicht oder nur sehr unzureichend funktioniert. Wenn ein „Dirigent“ gesucht wird, fühlen sich „Dirigentinnen“ neurologisch nicht angesprochen.
Zusammengefasst kann man also sagen: Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Gendern dabei helfen kann, den Musiktheaterbetrieb gerechter zu machen. Und das wollen wir ja eigentlich alle hier.

Wie machen wir das jetzt aber? Ein Vorschlag

Es gibt verschiedene Wege, zu gendern und die ganze Diskussion darum kann ziemlich verwirrend sein, deshalb hier eine kleine Zusammenfassung und ein Vorschlag.
Sensible Sprache ist viel mehr als das kleine *innen am Wortende. Es geht darum, eine Sprache zu finden, die unsere Wahrnehmung der Welt abbildet und gleichzeitig herausfordert. Ziel ist es, mit der Sprache niemanden zu verletzen, also eventuell auch auf verletzende, geschichtsvergessene und beleidigende Worte zu verzichten, und tatsächlich diejenigen anzusprechen, die gemeint sind.
Eine perfekte Lösung gibt es dafür vermutlich nicht – es bleibt ein Lernprozess, der viel mit gesellschaftlicher Entwicklung, politischen Gegebenheiten, eigener Reflexion, Empathie und neuen Erkenntnissen zu tun hat. Und natürlich auch mit Sprache. Denn Sprache funktioniert zwar nach Regeln, allerdings verändern sich diese Regeln genauso und werden nicht einfach gemacht (meistens zumindest), sondern meist entwickelt und dann angepasst.
Im Moment ist es vor allem wichtig, eine möglichst sinnvolle Form zu finden, die unsere Lese- und Hörgewohnheiten auf die Probe stellt und nicht weiter diejenigen unsichtbar macht, die sowieso schon unterrepräsentiert sind.

Deshalb halte ich es auch für wichtig, nicht nur die beiden Geschlechter Mann und Frau sprachlich abzubilden, sondern zum Beispiel durch das Gendersternchen, darauf aufmerksam zu machen, dass auch intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen gemeint sind. Wem das zu unschön ist oder wer in einem kurzen Text auf etwas anderes hinauswill und deshalb lieber keine Debatte um den Genderstern entfachen will, kann auch auf genderneutrale Formulierungen ausweichen: Musiktheaterschaffende, Studierende und so weiter.
Statt von Frauen und Männern zu sprechen, empfehle ich, von weiblich und männlich gelesenen Personen zu reden. Denn tatsächlich kann man nicht an äußeren Merkmalen oder Namen auf die geschlechtliche Identität einer Person schließen. Möchte man über Diskriminierungsstrukturen sprechen, betrifft das meistens nicht nur Frauen, sondern FINTA-Personen im Allgemeinen. Das sind Frauen, inter, nicht-binäre, trans (also auch trans Männer) und agender Personen.

Das ist am Anfang vielleicht kompliziert, mühsam und ja, manchmal auch grammatikalisch fragwürdig (auch dafür gibt es aber krea[k]tive Lösungen!), aber es lohnt sich. Wenn der kleine Wechsel von Frauen zu FINTA, von weiblichen Personen zu weiblich gelesenen Personen und von Sängern zu Sänger*innen dazu beitragen kann, mehr Gerechtigkeit zu schaffen, ist es das wert.
Für ein Musiktheater und eine Gesellschaft, in der bunt, vielfältig, bereichernd und gestärkt alle Stimmen gehört werden!