Im April 2020 bin ich in den Vorstand der spanischen Gewerkschaft für Opernkünstler „ALE“ eingetreten und war dort für internationale Angelegenheiten zuständig. Meine tiefe Überzeugung war und ist, dass wir eine gemeinsame europäische Rechtsgrundlage schaffen müssen, um alle Opern- und Theaterschaffenden zu schützen.
Wir müssen uns mit bestehenden Gewerkschaften und Verbänden in anderen Ländern verbinden, um eine Föderation zu schaffen, die die Arbeitsbedingungen im Musiktheaterbereich schützt und würdigt.
Im April 2020 gründeten zudem die Mitglieder von „ALE“ (Spanien), „Assolirica“ (Italien), „Unisson“ (Frankreich), „krea[K]tiv“ (Deutschland) ein informelles Kollektiv namens „LyriCoalition“. Seitdem findet dort ein regelmäßiger Informationsaustausch statt. In den zurückliegenden Monaten hat sich dieses Kollektiv immer mehr vergrößert und vernetzt. Es sieht sich aktuell um weitere Mitglieder, so die Gewerkschaft „Teaterförbundet“ (Schweden), die „Danish Actors Association“, die Gruppe „Stimm-Ig“ (Österreich) sowie um Mitglieder der sich neu formierenden Verbänden der Schweiz und Belgien bereichert. Die „LyriCoalition“ versteht sich momentan als offene und transparente Plattform für Diskussion und Austausch.
Unmittelbarer Zugang zu aktuellen Informationen über die von Covid 19 in den verschiedenen Ländern ergriffenen Maßnahmen, über Pläne zur Wiedereröffnung von Theatern, Chören, Orchestern mit angepassten Programmen unter Beachtung hygienischer Maßnahmen, über gewerkschaftliche Aktivitäten unserer Nachbarn usw. ist eine bereichernde Grundlage, um gemeinsam nachzudenken und Lösungen für die Zukunft zu finden. Die von krea[K]tiv gestartete Covid-Umfrage wie auch die Ergebnisse einer schwedischen Studie ergeben, dass die Auswirkungen der Pandemie und die Folgen für Opern- und Theaterleute sowohl existentiell als auch psychologisch jetzt schon sehr schwerwiegend sind.
Es ist leider weit verbreitet, dass freischaffende Künstler*innen keinen Arbeitsschutz genießen, und das ist leider in allen europäischen Ländern der Fall.
Trotz der Unterschiede in der in den einzelnen Ländern geltenden Gesetzgebungen haben wir erkannt, dass sich unsere Forderungen in vielen grundlegenden Punkten decken, sei es, wenn es um gerechte und der Situation angemessene Entlohnung bei Ausfallgagen geht oder ganz allgemein um eine im Gesetz verankerte soziale Absicherung.
Zu den gemeinsamen Prioritäten bei der Regelung der Verträge freiberuflicher Künstler gehören die folgenden Aspekte :
- Reise- und Unterkunftskosten
- Bezahlte Probezeit
- Zahlung in getrennten Raten (Vorbereitung, Proben, Vorstellungen)
- Medienrechte / Streaming
- Höhere Gewalt / COVID-Klauseln
- Kompensationszahlungen für annullierte Produktionen
- Neudefinierung und prinzipieller Stellenwert des Musiktheaters in der Gesellschaft und Politik(?)
Die Analysen und Vorschläge der verschiedenen Länder unterscheiden sich im Detail aufgrund der Merkmale und der inhärenten Realität jedes Landes.
Deutlich wird, dass ein gesamteuropäischer Vergleich in Bezug auf die Höhe der Förder- und Überbrückungshilfen unmöglich ist. Die Anzahl der Theater und Opernhäuser, der Ensembles und Kollektive, ob öffentlich oder privater Natur, unterscheidet sich immens. Entsprechend auch die Fähigkeit oder der Wille der Staaten, finanzielle Hilfsprogramme für die Kulturbranche und die Solo-Selbstständigen zu entwickeln.
Das bedeutet, dass sich die Forderungen und Lösungsvorschläge auf Grundlage der bestehenden Gesetzgebung vor allem in finanziellen Aspekten unterscheiden.
Auf der anderen Seite haben wir festgestellt, dass die in den letzten Monaten angebotenen Nothilfe Programme für Solo-Selbstständige nicht in der Lage waren, auf die speziellen Bedürfnisse dieser Menschen in angemessener Weise zu reagieren. Dies lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass in der Kulturpolitik ein großer Mangel an Wissen über unsere Arbeitsrealität existiert. Hinzu kommt die daraus resultierende Schwierigkeit, solche Hilfen in Anspruch zu nehmen.
Es ist unmöglich, unsere „Nicht durchgehende “ Arbeit gesetzeskonform zu quantifizieren und somit Zugang zur Arbeitslosenunterstützung, Krankenversicherung, Rente und sozialer Sicherheit zu haben. In ganz Europa wurden Hilfsprogramme für Selbständige und Freiberufler unterschiedlicher finanzieller Größe entwickelt, einige mehr, andere weniger, und in allen Ländern wurden diese Hilfen an unserer Spezies vorbei konzipiert. Wir passen nun leider in keine Schablone! Wir sind keine Prototypen und fallen aus jedem Raster, welches als Modell für die Entwicklung dieser Programme verwendet wurde.
Dies rechtfertigt die große Notwendigkeit, Lösungen auf europäischer Ebene zu finden und Aufklärung zu leisten, indem wir unsere vergangenen und zukünftigen Arbeitsbedingungen analysieren und definieren. Der einzige Weg, diese Arbeit gründlich zu erledigen, ist, in engem Kontakt mit unseren Partnern zu bleiben.
Bei der Ausarbeitung eines neuen legalen „Arbeitsrahmens“ in der spanischen Gewerkschaft „ALE“ waren uns die vergleichenden Analysen, die wir durch unser junges Kooperationsnetzwerk aus anderen europäischen Ländern erhalten haben, eine große Hilfe.
Das vollständige Dokument des „Arbeitsrahmens“ wurde im Dezember 2020 über den Mitgliederbereich der Website der Gewerkschaft als Bestandteil der Kandidatur-Unterlagen des aktuellen Verbandes vorgestellt (www.sindicatolirico.com) .
Während meiner Zeit als Vorstandsmitglied bei „ALE“ , Gründungsmitglied von „krea[K]tiv“ und Mitglied bei „Assolirica“ habe ich in den letzten 11 Monaten an zahlreichen online-Treffen teilgenommen, auch an Konferenzen mit außereuropäischen Vereinigungen wie z.B. mit argentinischen Kollegen und dortigen Verbänden.
Noch nie zuvor haben sich die Freiberufler des Musiktheaters so sehr miteinander abgestimmt und ausgetauscht wie in diesen letzten Monaten.
Noch nie zuvor haben wir uns so sehr für die Realität unserer Nachbarn interessiert, noch eine so ausgeprägt grenzüberschreitende Gruppenzugehörigkeit empfunden.
Diese Tatsache sollte meines Erachtens dazu beitragen, unsere Energie gebündelt darauf zu verwenden, Lösungsvorschläge zu entwickeln, diese breitflächig bei den Politikern vorzutragen und dafür zu plädieren, dass im Idealfall auch vom Europäischen Parlament angemessene und gerechte Grundlagen für unsere Arbeitsbedingungen geschaffen und durchgesetzt werden.
Nicola Beller Carbone – Januar 21